• Währungspolitische Schlammschlacht

    folgenden Beleg habe ich in der Bucht gekauft:

    Schleiz (Thüringen) 22.8.73 frankiert mit 1/2 Groschen nach Luxemburg. Bei der Portodeutung muss ich raten --> Deutsches Reich nördlicher Bezirk Tarif vom 1.7.1872 Inland und Postvereinsverkehr - Postkarten 1/2. Kein Ankunftsstempel in Luxemburg, lediglich ein Datumsvermerk vom 24.8 auf dem Verso, wahrscheinlich von der Bank. Der Verkäufer hatte nur die Vorderseite gescannt. Der Empfänger ist die Großherzoglich luxemburgische Nationalbank. Da Belege an diese Bank nicht so oft angeboten werden musste ich trotz einem kleinen Defekt der Marke kaufen. Super interessant die Rückseite, ein kostbares Zeitdokument im Bezug einer währungspolitischen Schlammschlacht :

    In einer der neuesten Nummern der Hildburghauser Dorfzeitung ist zu lesen, daß sie nicht im Stande wären Ihre Noten ein zu lösen & daß dieselben wertlos wären. Teilen sie mir geflissentlich mit, ob dieses wahr ist oder nicht. Das Ausbleiben einer Antwort würde ich als Bestätigung der von Dorfzeitung gebrachten Nachricht betrachten.

    Um was geht es hier ??? In groben Zügen denn die Sache ist kompliziert. Ich hatte übrigens schon einmal einen Beitrag in dieser Sache gebracht Thread Luxemburg Post 48. Hier die Anfänge :

    Im Mai 1873 hat Luxemburg seine Banque Nationale - großherzogliche Nationalbank gegründet. Bereits am 1 Juni nahm die Bank ihre Tätigkeit auf. Der Staat hatte der BNL ein Emissionsrecht gewährt. Dieses Recht besaß aber auch die Internationale Bank kurz BIL seit ihrer Gründung 1856. 2 Emissionsbanken auf engstem Raum - das konnte nicht gut gehen. Die ersten Scheine von der Wertpapierdruckerei B. Dondorf & C. Naumann Frankfurt ( ich suche nun einen Beleg von dieser Druckerei) gingen am 1 August in Luxemburg ein. Die neuen Geldscheine waren noch nicht richtig gedruckt und 'trocken' als die BIL am 15 Juli 1873 ihren Angriff startete. Folgendes Schreiben ging an ihr Korrespondenten und u.a auch an die Berliner Neue Börsenzeitschrift. Andere Deutsche Zeitschriften wie die Hildburghauser Dorfzeitung griffen den Artikel auf. Daraus wurde dann eine Währungspolitischer Streit zwischen Luxemburg und Berlin.

    Als Beispiel ein Scann eines Geldscheines der BNL. Diese Noten sind extrem rar, denn die Bank bestand nur knapp 9 Jahre und bei ihrem Konkurs haben die Luxemburger aus Protest die Noten verbrannt. Ich hatte vor Jahren die Möglichkeit einen Schein zu kaufen. Der Preis war extrem und ich wollte so eine Ausgabe nicht tätigen. Dies brennt mir heute noch auf der Seele. Deshalb erfreue ich mich eines simplen Scanns aus meinem Buch.

    Quelle: Banque Nationale du Grand-Duché de Luxembourg 1873-1881. Eine Episode in der Luxemburgischen Währungsgeschichte. Jutta Jaans-Hoche 1981

    Phila-Gruß

    Lulu

  • Hallo Zockerpeppi,

    wieder mal ein spannender Beitrag aus der sophy-Kiste, keine Frage.

    Ich frage mich allerdings bei der Menge von einzelnen sophy-Belegen, die wir hier schon zu lesen bekommen und hoffentlich noch bekommen werden, ob das dafür eigentlich (noch) der richtige thread ist.

    Ursprünglich war er ja angelegt worden, um das Thema social philately grundsätzlich bzw. im allgemeinen zu besprechen. Natürlich kann man und muss man bisweilen zur Erläuterung der weiteren Auslegung / Entwicklung dieses Begriffs auch den einen oder anderen Beleg exemplarisch posten, auch keine Frage.

    Aber wenn es "nur" um die Präsentation eine sophy-lastigen Belegs geht, dann würde ich den im thread des jeweils zugehörigen Postgebiets posten. Dies einfach nur als Anregung / zur Überlegung.

    + Gruß !

    vom Pälzer

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

  • Hallo liebe Lulu,

    ganz toll, was Du da wieder an Luxemburgischer Geschichte hervorzauberst-Super :):)

    Der könnte auch in einem historischen Börsenlexikon gezeigt werden :P

    Anders als Pälzer bin ich übrigens der Meinung die Belege können hier durchaus gezeigt werden, wenn Sie denn einen sophymässigen Bezug haben, wie Deine.
    Denn die Diskussion um den Begriff ist ja nun schon länger her und seitdem werden immer wieder Belge gezeigt, gut so

    Beste Grüsse von
    Bayern Social


    "Sammler sind glückliche Menschen"

    Einmal editiert, zuletzt von Bayern Social (4. Mai 2015 um 16:13)

  • vor sehr langer Zeit angekündigt: das Bankhaus Bischoffsheim et de Hirsch ansässig in Brüssel. Die Brüsseler Bank ging irgendwann 1870/1871 in die Banque de Crédit et de Dépôts des Pays-Bas (Nederlandsche Credit- en Deposito Bank) über, 1872 in die Banque de Paris et des Pays-Bas

    Zuerst das Philatelistische:

    1. Bruxelles - Wien. Frankiert à 40c für den einfachen Brief bis 15g gemäß dem Tarif (Belgien-DÖPV) vom 1.7.63. Stempel Bruxelles vom 1 AVRIL 67 + ein PD. Auf dem Verso ein Bahnpoststempel Verviers Coeln, ein unleserlicher Postvertagsstempel ....Allemagne... Ankunft in Wien am 3.IV 10 N.M




    2. Bruxelles - Luxemburg Frankiert à 30c für den einfachen Brief bis 10g gemäß dem Tarif Belgien- Luxembourg vom 1.4.1850 Stempel Bruxelles vom 30 MARS 67 +PD. Auf dem Verso Transitstempel von Arlon (Grenzübergangsbüro) und Ankunftsstempel Luxembourg vom 31.MARS 67

    Bei den jüdischen Bankenclans aus dem 19 Jahrhundert kommt man ganz schön ins Schleudern. Wer mit wem durch Heirat oder sonstigen Familienbande einfach unbeschreiblich.

    Johnathan Raphael Bischoffsheim: 1808 in Mainz geboren siedelt nach Belgien über. In Antwerpen gründet er mit seinem Bruder die Bank Bischoffsheim & Goldschmidt. Beide Brüder haben Töchter des Frankfurter Bankiers Benedikt Hayum Goldschmidt geheiratet. Kurz nach der belgischen Revolution ließ Jonathan Raphael sich in Brüssel nieder, auch hier wird eine Zweigstelle der Bank eröffnet. 1841 nimmt er die Belgische Staatsbürgerschaft an. Er hat sich politisch engagiert: Mitglied im Rat von Brüssel, Sitz im Senat, Fraktionsvorsitzender der belgischen Liberalen. Desweiteren war er Mitglied im Verwaltungsrats der Brüsseler Université libre, initiierte die Einrichtung eines Lehrstuhls für Arabistik, war einige Jahre Präsident des jüdischen Konsistoriums.

    Maurice de Hirsch geboren am 9.12.1831 in München, Sohn einer renommierten jüdischen Bankiersfamilie aus Bayern. Sein Vater schickt in den 1840er Jahren nach Brüssel zur Ausbildung. Hier kommt er in Kontakt mit der Familie Bischoffsheim. Hier lernt er auch seine zukünftige Frau kennen. 1848 kehrt er jedoch nach München zurück interessiert sich für Eisenbahnwesen. 1851 zurück in Brüssel arbeitet er in der Bank Bischoffsheim & Goldschmidt. Goldschmidt war ein Verwandter seiner Mutter. Die Bank war u.a im Eisenbhanbau aktiv und unterstütze Maurice bei seinem Ost-Ungarn Eisenbahnprojekt. 1855 heiratet er Clara die Tochter von Jonathan-Raphaël Bischoffsheim und wird wohl irgendwann 1857 Teilhaber in der Bank. Clara übernimmt das Sekretariat ihres Mannes und weckt dessen philantropische Interessen. Das Ehepaar galt als eines der vermögendsten ihrer Zeit. Sie engagierten sich beide, stifteten der Alliance Israélite Universelle, dem Institut Pasteur. Nach dem Tode ihres einzigen Sohnes Lucien unterstützten sie Hospitäler, Waisenhäuser und gründeten eine Schule.

    Mit einem Teil seines Kapitals gründete Maurice die JCA Jewish Colonization Association. Letztere half den politisch verfolgten russischen Juden und förderte die Ansiedlung von jüdischen Kolonisten in Argentinien, Brasilien, Mexiko und Kanada. Die JCA hat im heutigen Israel ihr Hauptbetätigungsfeld. Auch in den USA unterstützte de Hirsch jüdische Einwanderer. Er gründete in New York den Baron de Hirsch Fund mit einem beträchtlichen Startkapital von 2.5 m$

    Porträt Maurice de Hirsch aus meiner Sammlung

    Quellen:
    1. Im Westen Neues; deutsche Juden als Pioniere jüdischen Lebens in Belgien, Cilli Kasper-Holtkotte
    2. https://de.wikipedia.org/wiki/Maurice_de_Hirsch
    3. The History of BNP Paribas in the Netherlands (1863-2013)
    4. Paribas, l'Europe et le monde 1872-1992

    Phila-Gruß

    Lulu

    Einmal editiert, zuletzt von Zockerpeppi (11. September 2017 um 16:23) aus folgendem Grund: Tippfehler

  • Liebe Lulu,

    danke für das Zeigen der beiden schönen Briefe und die umfassende Geschichte, die hinten diesen steht. Alles sehr interessant - Briefe des Bankhauses Hirsch in München habe ich einige; sonderbarerweise gibt es kaum Standardbriefe, da fast alle etwas besonderes darstellen (oder hat man die "normalen" irgendwann einmal entsorgt?

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


    • Offizieller Beitrag

    Hier ein Brief aus den Anfangszeiten des Bankhauses Ephrussi & Co, gegründet in Odessa.

    Anfang März 1846 ging es von Odessa via Österreich, im geschlossenen Transit mit T&T über Forbach nach Frankreich und von dort über den Kanal nach London an die bekannte Adresse Huth & Co.
    Der Empfänger dort hatte für den Portobrief (incl. Transit aus Österreich) 3 Sh. zu zahlen. (Diesen und einen ähnlichen Brief werde ich in den nächsten Tagen bezüglich PO und Taxen in einem anderen Thread zur Diskussion stellen).

    Aus dem Inhalt des Briefes eine Wechselkurstabelle und die (vermutlich) eigenhändige Unterschrift des Inhabers Leon Ephrussi.

    Zur Geschichte:
    Der ursprünglich aus dem russischen Berdichev stammende Charles Joachim Ephrussi (1793-1864) gründete in Odessa einen Getreidehandel. Das Unternehmen war sehr erfolgreich und die Familie bald wohlhabend. Man investierte in weitere Bereiche, besass z.B. auch umfangreichen Grundbesitz auf der Krim mit großen Ölvorräten. In den 1860er Jahren gehörte die Familie zu den weltweit größten Getreidehändlern.
    Schon in den 1840er Jahren wurde von dem Sohn Leon Ephrussi (1820-1915) das Bankhaus Ephrussi & Co in Odessa gegründet. 1856 wurde von dessen Bruder Ignaz Ephrussi (1848-1908 ) in Wien ein gleichnamiges Bankhaus gegründet. Beide Söhne wurden vom Vater von Beginn auf eine Tätigkeit im Finanzsektor ausgebildet.
    1871 wurde von den Ephrussis eine Niederlassung in Paris gegründet, weitere Dependencen folgten in London und Athen. Der familiäre Wohnsitz wurde - den Bankgründungen folgend - zunächst nach Wien und später nach Paris verlegt.
    In jenen Jahren gehörte die Ephrussis zu den reichsten und einflussreichsten Familien des Kontinents, u.a. befördert durch eine entsprechende Familienpolitik. So heiratete Maurice Ephrussi (1849-1916) die sehr vermögende Erbin Beatrice de Rothschild.

    Weiter im nächsten Abschnitt (wegen der max. Anzahl Anhänge) ...

    • Offizieller Beitrag

    Fortsetzung:

    Eines der bekanntesten Familienmitglieder war Charles Ephrussi (1849-1905), Sohn von Leon Ephrussi.

    Er war nicht nur ein erfolgreicher Bankier, sondern auch ein bekannter Kunsthistoriker und Sammler. Zu seiner Gemäldesammlung gehörten bekannte Werke von Manet, Monet, Degas, Renoir und Sisley. Er war mit verschiedenen Künstlern persönlich bekannt. So nahm Marcel Proust Charles Ephrussi als Vorbild für seine Romanfigur Charles Swann in dem Buch "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Pierre-Auguste Renoir bildet ihn in seinem Bild "Das Frühstück der Ruderer" mit ab (siehe Bilddetail).

    Die Geschichte des Bankhauses Ephrussi endete in Wien innerhalb von 3 Tagen im Jahre 1938 (die Ephrussis waren Juden).
    Ein Nachfahre der Familie, Edmund de Waal beschreibt in seinem Buch Der Hase mit den Bernsteinaugen die Familiengeschichte anhand einer kleinen Sammlung von japanischen Miniaturen (sogen. Netsukes), die als einziger Bestandteil der riesigen und einzigartigen Kunstsammlung der Ephrussis die Geschehnisse jener Jahre überlebten.

    Gruß
    Michael

    Wer mehr wissen möchte:
    https://en.wikipedia.org/wiki/Ephrussi_family
    https://de.wikipedia.org/wiki/Charles_Ephrussi
    http://www.zeit.de/2011/51/Edmund-de-Waal

  • Lieber Michael,

    toll recherchiert und in jeder Beziehung erhellend. Schön, wenn dann noch die PO folgt. :P:P

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.