Weiterfranko oder Zuschlagstaxe?

  • Hallo,
    der gestern im Belgien-thread diskutierte Brief von Hern Kemser hat mich bewogen, hier eine ganz allgemein gehaltene Anfrage zu posten:
    Wie ist ein vorderseitig angeschriebener Taxbetrag zu interpretieren?
    - Es könnte sich um ein ausgewiesenes Weiterfranco handeln (wie gestern auf den Briefen von 1870/71 und hasselbert zu sehen, 4 Kr. für Belgien, oder auch häufig auf voll frankierten Briefen in die Schweiz), das den Empfänger nicht tangieren sollte, da der Brief voll bezahlt war und der Vermerk nur zur Verrechnung zwischen den Staaten diente
    - Es könnte eine Nachtaxe sein, wobei hier zu unterscheiden wäre zwischen Angabe in Kreuzern (von Bayern) bzw. der Währung der ans Ausland übergebenden Post (z.B. preuss. Silbergroschen be der Zukartierung nach Belgien)
    Meine Frage also: wie ist genau festgelegt, welche Art "Gebühr" notiert wird, in welcher Währung, und wie konnte man sicherstellen, dass ein Weiterfranco nicht irrtümlich als "Strafzuschlag" vom Empfänger eingetrieben wurde?

    Beste Grüsse vom
    µkern

  • Hallo zusammen,
    hallo mikrokern,

    eine sehr gute Frage und Anregung, darüber einmal nachzudenken. Bei Innerbayrischen Briefen und Briefen in den Postverein kann es in der Markenzeit kein Weiterfranko geben. Bei Briefen in das Postvereinsausland steht oft die Paraffe W oder Wf oder Wfr neben einer meist blauen Zahl. An Hand der Größe der Zahl kann ich sehen ob es Kreuzer oder Silbergroschen sind. Oft steht auch beides auf der Briefvorderseite. Zum Beispiel nach Amerika steht 11 Silbergroschen oder 35 Kreuzer oder beides. Nach Dänemark 7 Kreuzer oder 2 Silbergroschen oder auch beides. Immer steht jedenfalls das Weiterfranko vorne. Bei der Schweiz steht mal das Weiterfranko, mal nicht, aber immer schreibt Bayern das Weiterfranko in Kreuzer und blau. Zusätzlich steht dann noch hin und wieder das Weiterfranko in Rappen und in rot. Hierzu als Beispiel ein Brief der 1. Gewichtsstufe in die Schweiz von Lindau nach Altdorf bei Luzern. Lindau liegt im 1. Rayon also 3 Kreuzer und Altdorf lieg im 1. Rayon in der Schweiz also auch 3 Kreuzer, macht zusammen 6 Kreuzer. Daneben sind von Bayern 3 Kr. in blau als Weiterfranko ausgewiesen, welche die Schweiz in 10 Rappen (rot) umgerechnet hat. Warum es noch Auktionhäuser gibt, die hier einen der "seltenen unterfrankierten Briefe" teuer anpreisen, weil "Altdorf im 2. Rayon liegt und deshalb die Schweiz noch 10 Rappen nachzufordern hat". Es bleibt mir ein Rätsel.
    Auch ich würde es begrüßen, wenn hier jemand eine grundsätzliche Antwort geben kann.

    Grüße aus Frankfurt
    hasselbert

  • Hallo hasselbert,
    vielen Dank für Deine Ausführungen und gezeigten Briefe!
    Klar, es geht nicht um Postvereinsbriefe, sondern um Briefe ins Ausland. Ist ein "P.D."-Stempel abgeschlagen, sollte es auch leicht sein - die angeschriebene Zahl muss das Weiterfranco darstellen, da naturgemäss kein Nachporto eingefordert werden sollte.
    Probleme habe ich eben mit Fällen wie den angesprochenen Belgien-Briefen, wo es sich zum einen um 3 Sgr vom Empfänger zu erhebendes (Nach-) Porto handeln könnte, und beim zweiten um 4 Kr. zu verrechnendes Weiterfranco. Da sind sich die Zahlen schon ähnlich.
    Und eben: wann wird in Sgr notiert, und für welche Fälle in rh. Kreuzer, wenn man mal den Belgien-Fall (als von der preuss. Post weitergeleitet) zugrundelegt?

    Beste Grüsse vom
    µkern

  • Liebe Freunde,

    ehe ich versuchen werde, was eh nicht gelingen kann, noch ein kurzes Wort zu dem feinen Brief mit der Nr. 10 in die CH.

    Der Brief hätte mit 9 Kr. frankiert werden müssen, so sah es die Aufgabepost. 3 Kr. für Bayern sind klar, aber 6 Kr. Weiterfranko für die CH in den 2. Rayon. War bei Briefen das verklebte Franko nicht ausreichend, war ab 1856 der fehlende Betrag in blauer Farbe zu notieren. Ein Weiterfranko von Bayern nach der Schweiz brauchte es nicht, wie auch keine P.D. - Stempel nach den Verträgen von 1852 und 1868 notwendig waren.

    Man erkennt dies immer dann, wenn bei Briefen nach der CH eine Währungsreduktion in Rappen/Centimes vorgenommen wurde, welche nur Sinn macht, wenn man auch Geld vom Empfänger zu kassieren hatte. Da die CH immer mit Rötel arbeitete, Bayern aber eher selten, können Angaben wie 10, 20 usw. nur Schweizer Taxen sein.

    Jetzt zu den Problemen mit Weiterfranko- oder Taxvermerken:

    Prinzipiell ist immer das Wissen um die Vorschriften vonnöten, wenn man bi- oder trilaterale Briefe interpretieren möchte. In Postverträgen hat man nicht festgeschrieben, wie die Briefe von den Postbediensteten zu behandeln waren, weil es nicht Gegenstand eines Staatsvertrages sein konnte, sich auf diese niedere Ebene zu begeben.

    Jedoch waren in den Instruktionen und Manipulationsvorschriften für die Akteure i. d. R. recht umfangreich und ausführlich geregelt, wie was zu "handeln" war.

    Sah eine Abmachung die Notation eines Weiterfrankos vor, so war dieses i. d. R. neben den "Frei" - Vermerk zu setzen, i. d. R. in kleinen roten Ziffern. Über die Währung, in der dieses anzusetzen war, sagten die Vorschriften auch etwas aus, aber 100%ig hat sich keiner daran gehalten. Oft, wenngleich nicht immer, lässt sich schon allein anhand der Höhe eine Zuordnung zu der gedachten Währung treffen. Die o. g. Beispiele sind selbsterklärend. In aller Regel wurden sie in der Währung ausgeführt, in der die Briefe mit dem Ausland abgerechnet wurden, Belgien war da die Ausnahme, das muss man sich klarmachen.

    Nachtaxen waren wichtig, weil sie auch physisch ins Geld gingen (Weiterfranki waren eher zur Verrechnung der Postanstalten untereinander wichtig). Von daher waren sie zentral auf dem Brief zu notieren, wenn man nicht gerade damit wichtige Teile der Adresse verdecken oder überschreiben würde. Sie sind regelmässig auch größer ausgeführt, denn bei einem Überlesen weiter hinten gelegener Posten wäre ein umständliches Procedere einzuleiten gewesen, welches man sich gerne ersparen wollte.

    Auch hierfür galten Farbenregeln, nämlich blau für zu zahlende Beträge. Das wurde zwar oft falsch gemacht (schwarze Tinte, Rötel usw.), aber man kann die Ausnahmen nur als solche erkennen, wenn man die Regel kennt.

    Dr. Joachim Helbig hat zwei Bände über vergleichbare Problematiken heraus gebracht, die Erkärungen für die Behandlung von Briefen der VMZ usw. liefern. Letzten Endes wird man bei Abweichungen von der Regel aber auch immer auf die Erfahrung ebensolcher Sammler angewiesen sein, um sie wirklich beschreiben zu können. Gut, dass es sie hier zahlreich gibt. :)

    Liebe Grüsse von bayern klassisch

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Lieber Ralph - ich hoffe, ich darf diese Anrede verwenden ;)
    vielen Dank für diese Aussagen.
    Darf ich das dahingehend interpretieren, dass es keine allgemeingültigen Vorschriften über Schriftart/-grösse, Farbe und Währung bzgl. Nachporto bzw. Weiterfranco gab, sondern dass man dies anhand der Destination, der damit geltenden Postverträge und der "allgemeinen Erfahrung" individuell eruieren und interpretieren muss?
    Also nix mit "vorderseitige blaue 3 auf Brief von Bayern über Preussen ins Ausland" = "Portozuschlag von 3 Sgr"? Dazu müsste man also die genauen Verhältnisse und Verträge mit diesem "Ausland" kennen?

    Beste Grüsse vom
    µkern

  • Lieber mikrokern,

    diese Anrede ist ausdrücklich gewünscht (funktioniert auch mit dem Nick). :)

    So ist es - du triffst den Nagel auf den Kopf.

    Die Porti und Franki sind eigentlich für alte Hasen leicht - problematisch werden unterfrankierte Briefe, vor allem, wenn sie mehrere fremde Postgebiete tangierten. Dann helfen auch nicht immer die Kenntnisse um Verträge und Instruktionen, weil es halt nicht für alles und jedes das Passende gab; dann hat nur ein Routinier eine Chance zu interpretieren, wenn überhaupt. Aber ist das nicht das Salz in der Suppe?

    Liebe Grüsse von bayern klassisch

    Liebe Grüsse vom Ralph

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  • Hallo zusammen,
    hallo bayern klassisch,

    Einspruch euer Ehren. Mein Schweizbrief ist von 1866. Ab 1. September 1859 wurden die bisherigen Taxsätze aufgehoben und ein neues Verzeichnis veröffentlicht, das nunmehr rund 250 Bestimmungsorte in der Schweiz benennt, nach denen das schweizerische Porto 3 Kreuzer je einfachem Brief beträgt. In diesem Verzeichnis steht jetzt auch Luzern. Somit sind die in blau ausgewiesenen 3 Kreuzer das Weiterfranko für die Schweiz. Es gibt keinen Grund, dass die Schweiz zusätzlich vom Empfänger nochmals 10 Rappen einziehen sollte. Angefügt habe ich einen Brief aus Lindau nach Heyringen im 2. Rayon, also 3 Kreuzer für Bayern und 6 Kreuzer für die Schweiz. Die 6 Kreuzer sind in blau als Weiterfranko ausgewiesen.

    Grüße aus Frankfurt
    hasselbert

  • Lieber hasselbert,

    den Einspruch darfst du zurück ziehen - Altdorf bei Luzern lag im 2. Rayon zu allen Grenztaxpunkten. Luzern, um das er hier nicht geht, lag ab 1.7.1859 im 1. Rayon, das ist richtig. Aber Altdorf liegt südöstlicher und damit weiter entfernt vom Bodensee. Daher war es nicht in der Liste der Schweizerischen Orte genannt worden, für die 3 Kr. als Weiterfranko galten, wodurch es automatisch in die Rubrik 6 Kr. Weiterfranko einzureihen war.

    Ich verweise hierzu auf meine Primärliteratur und auf S. 84 des Buches von Dr. Zangerles 1. Buch der Auslandstaxen.

    Dafür ist dein 2. Brief, ein kleines Schmuckstück, umso schöner erhalten und auch richtig frankiert.

    Liebe Grüsse von bayern klassisch

    Liebe Grüsse vom Ralph

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