Express bei der Bahnpost

    • Offizieller Beitrag

    Liebe Freunde,

    der folgende Brief weist einige Besonderheiten und wirft auch Fragen auf.

    Eine 1 Sgr.-Ganzsache, auffrankiert mit einer 1 Sgr.-Freimarke (6a), aufgegeben in Oberkassel (bei Düsseldorf) und adressiert nach Krefeld.
    Der Brief wurde direkt am Zug in Oberkassel aufgegeben und gemäß den Instructionsvorschriften war bei Aufgabe an einem Haltepunkt ohne Postamt der nächste Haltepunkt mit Postamt zu notieren, hier Neuss. Der Wertstempel wurde mit Tintenstrich entwertet, die Freimarke mit dem Nummernstempel 1789 des Post-Speditions-Büros No. 13, das für die Bahnlinie Aachen-Düsseldorf zuständig war. Der Brief weist dementsprechend auch rückseitig den Kursstempel DÜSSELDRF. / 14 10 II. / AACHEN auf.
    Zusätzlich wurde vom Absender p. Express zu bestellen notiert.
    Die Entfernung Oberkassel-Krefeld liegt bei <10 Meilen, das Express-Bestellgeld betrug 2 1/2 Sgr.
    Die Entwertung mit Tintenstempel war bis März 1859 vorgeschrieben, danach mit dem Aufgabestempel (bei Zugaufgaben wurde dann typischerweise der Kursstempel benutzt). Die Freimarke erschien 1857. Daher sollte der Brief aus den Jahren 1857/58 stammen.

    Hier ein Fahrplan dieser Strecke:

    Für die Leitung von Oberkassel wäre die Zugrichtung Aachen ... Neuss - Düsseldorf/Oberkassel ... Crefeld nötig gewesen.
    Rückseitig ist aber der Kursstempel in entgegengesetzter Richtung zu sehen (es gab auch einen Kursstempel AACHEN-DÜSSELDRF). Zudem wurde als nächster Ort Neuss notiert. Beides deutet darauf hin, dass der Brief zunächst fälschlicherweise in einem Zug der falschen Richtung landete und dann (evtl. in Neuss) umgeladen wurde.

    Für diesen Brief hätte ein Franko von 1 Sgr. gereicht. Nun kann der Brief über 1 Loth gewogen haben und daher wurden 2 Sgr. verklebt.
    Für das Express-Bestellgeld + Franko wären 3 1/2 Sgr., bzw. bei einem schweren Brief 4 1/2 Sgr., fällig gewesen.
    Links unten wurden die 2 1/2 Sgr. Express-Bestellgeld mit Rötel notiert. Sowohl die Verwendung von Rötelstift als auch die Größe sowie die Positionierung neben dem frei-Vermerk lassen die Notierung als eine bezahlte Gebühr erscheinen. Eine Barfrankatur bei Zugaufgaben war aber strikt untersagt.

    Wie sind die Meinungen der Forums-Mitglieder hierzu?
    - unzulässige Barfrankatur bei Zugaufgabe?
    - sehr ungewöhnliche Notierung des einzuziehenden Bestellgeldes vom Empfänger?
    - ???

    Gruß
    Michael

  • Lieber Michaael,

    ein toller Knobler ...

    Die unterschiedlichen Notationen lassen auf 2 Annahmebeamte im Wagen schließen - gab es denn zwei, die das machen durften? Bisher bin ich davon ausgegangen, dass das teure Bahnpostpersonal immer nur so eingesetzt wurde, dass jeder alle Hände voll zu tun hatte - da halte ich 2 Leute für Luxus bei der Bearbeitung der am Bahnhof eingelieferten Briefe.

    Die 2 1/2 sehen eher etwas naiv aus, die Stationsaufgabe sieht nach einem sehr routinierten Schreiber aus - warum sollte man gerade einem "Naiven" Gelddinge im Zug überlassen, wenn dies eh untersagt war? Ist er vlt. gar nicht tatsächlich per Express gelaufen und man hat nur werterhöhend 2 1/2 notiert?

    Waren für ihren gewünschten Postdienst eindeutig unterfrankierte Briefe wie hier überhaupt annahmefähig?

    Fragen über Fragen ...

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Lieber Michael,
    Ich tendiere zur unvorschriftsmäßigen Barfrankatur. Indizien für mich sind der frei-Vermerk und wenn der Brief unterfrankiert abgeliefert worden wäre, wäre ja irgendein entsprechender Vermerk vorhanden.
    Viele Grüße von
    Erwin W.

    viele Grüße
    Erwin W.
    preussen_fan

  • Guten Morgen zusammen,

    .

    ich schließe mich der Auffassung der Vorrede an. Wenn die Notierung p. Express zu bestellen original ist, was m.E. augenscheinlich ist, dann macht in der Konsequenz auch der Gebührenvermerk neben dem Francovermerk einen Schuh.

    .

    Wenn man deswegen - die einfache - Variante 2 - Gebühren-Nacherhebung beim Empfänger einmal bei Seite stellt, dann könnte man sich Variante 1 - z.T. nach dem Ausschlussprizip - etwa so nähern:

    .

    Der Absender hatte offensichtlich nicht genügend Freimarken parat, um die Expressgebühr vollständig frei zu machen. Er hatte auch keine Zeit mehr zu warten, bis der Postschalter in Oberkassel geöffnet wurde und begab sich dann wohl recht früh morgens auf den Bahnsteig.

    .

    Hat man dort evtl. versucht, beim Postladevorgang Kontakt mit einem Bahnpostbeamten aufzunehmen und wegen der Dringlichkeit solange auf ihn eingeredet, dass dieser die fehlenden 2 1/2 Sgr vorschriftswidrig in bar angenommen hat ?

    .

    Das erscheint zunächst unwahrscheinlich, denn dann hätte der Bahnpostbeamte dem Absender wohl gesagt, dass das der Zug in die falsche Richtung ist.

    .

    Oder er hat gewußt, dass man im ca. 8 km entfernten Neuss auf den richtigen Zug umspedieren kann, was wiederum wahrscheinlich ist und ihn doch angenommen ? Vielleicht war das im Vergleich zum Warten auf einen Zug in die richtige Richtung sogar immer noch ein Zeitgewinn für den Expressbrief (müsste man an den Kursplänen abtschecken).

    .

    Wenn dieser in den Bahnpostwagen eingeworfen worden wäre, dann bleibt nur übrig, dass das Geld irgendwie mit dem Brief zusammen eingeworfen worden ist. Das ist allerdings nicht gerade wahrscheinlich. Für die Untervarainte Einwurf mit Geld spricht allerdings, dass es der Zug in die falsche Richtung war.

    .

    Geht man andererseits weiter davon aus, dass vorschriftswidrig eine Annahme über direkten persönlichen Kontakt erfolgt ist, dann schreibt man, weil es regelwidrig war, das so für die Postkasse eingenommene Franco sicherlich auch etwas unsicher (positioniert).

    .

    Vielleicht hat es von einem Kollegen im Bahnpostwagen deswegen zuvor auch eine lautstarke Zurechtweisung gegeben. Aber der stand dann auch vor vollendeten Tatsachen und wird sich dreimal überlegt haben, ob er den regelwidrigen Vorgang nocheinmal stoppt.

    .

    Denn der Adressat war ja nun nicht gerade von unbekanntem Hause: Bankhaus Beckerath-Heilmann / Krefeld des ehem. Reichsfinanzministers und Bankiers Hermann von Beckerath (1801-1870). Der Adressat Gustav Heilmann (1812-?) war ebenfalls Bankier und der Bruder der Ehefrau Beckerath`s Charlotte Sophia Heilmann (1810-1890).

    .

    Das waren also recht bedeutende Personen/Institutionen, weswegen sich der kleine Bahnpostbeamte in Oberkassel möglichweise zur vorschriftswidrigen Annahme des Barfrancos breitschlagen gelassen hat.

    .

    Also "nebenbei" auch noch social-philately vom Feinsten auf einem optisch sehr ansprechenden Ausnahmebeleg.

    .

    Aber wie heißt es immer so schön: just my two cents und alles ohne Gewähr.

    .

    + Gruß !

    .

    vom Pälzer

    .

    verwendete Quellen:

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

    2 Mal editiert, zuletzt von Pälzer (7. Juli 2018 um 11:39)

  • Hallo in die Runde

    ich denke, dass der Brief nicht am Zug aufgegeben wurde, sondern in der sich dort befindlichen Post(stube).
    Häufig sind an Bahnhöfen auch Briefkästen aufgestellt wurden. Dadurch war es möglich, dass der dort tätige Postamte auch diese Brief bearbeitete und ggf. auch Briefe vom Publikum annehmen konnte.

    Mit freundlichem Sammlergruss

    Ulf

  • Liebe Kollegen
    Der Beitrag von Ulf macht Sinn, weil dann ja eine Teilbarfrankierung möglich und damit nicht mehr unvorschriftsmäßig war.
    Allerdings habe ich auch den längeren Beitrag von Pälzer mit Vergnügen gelesen.So hätte es auch sein können, wenn die Möglichkeit im Beitrag von Ulf nicht gegeben wäre.
    Beste Grüße von
    Erwin W.

    viele Grüße
    Erwin W.
    preussen_fan

  • Hallo zusammen,.

    mir stellen sich dann weitere Fragen:

    1. Wenn in einer "Poststube" am Bahnhof aufgegeben, warum wird dann von dort aus ein wichtiger Expressbrief der falschen Zugrichtung mitgegeben ?.


    2. Wenn es ein Briefkasten war, wie kam es dann zur Entrichtung der 2 1/2 Sgr Barfranco ?
    + Gruß !.
    vom Pälzer

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

    • Offizieller Beitrag

    Liebe Freunde,

    vielen Dank für eure zahlreichen und sehr interessanten Überlegungen. :thumbup: Ich versuche mal, auf alle einzugehen.

    Die unterschiedlichen Notationen lassen auf 2 Annahmebeamte im Wagen schließen - gab es denn zwei, die das machen durften? Bisher bin ich davon ausgegangen, dass das teure Bahnpostpersonal immer nur so eingesetzt wurde, dass jeder alle Hände voll zu tun hatte - da halte ich 2 Leute für Luxus bei der Bearbeitung der am Bahnhof eingelieferten Briefe.


    Davon ist auch auszugehen. Auf den großen Strecken waren möglicherweise mehr Beamte eingesetzt worden. Aber Pälzer hat in seinen Überlegungen einen interessanten Anstoss gegeben, siehe dort.

    Die 2 1/2 sehen eher etwas naiv aus, die Stationsaufgabe sieht nach einem sehr routinierten Schreiber aus - warum sollte man gerade einem "Naiven" Gelddinge im Zug überlassen, wenn dies eh untersagt war? Ist er vlt. gar nicht tatsächlich per Express gelaufen und man hat nur werterhöhend 2 1/2 notiert?


    Der Express-Wunsch des Absenders ist sicherlich authentisch, daher handelt es meiner Meinung nach um einen Express-Brief.
    Du hast aber recht, dass die Zahlen ungewöhnlich aussehen. Einen Moment hatte ich auch an eine Verfälschung gedacht. Wäre aber ein sehr seltener Briefverfälscher, der tatsächlich weiß, was er da drauf malt. :D
    Wenn die Rötelnotierung tatsächlich nachträglich angebracht wurde, wäre das natürlich unschön, würde den Brief aber in seiner Gesamtaussage nicht entwerten.

    Waren für ihren gewünschten Postdienst eindeutig unterfrankierte Briefe wie hier überhaupt annahmefähig?


    Wenn ein unterfrankierter Brief z.B. in den Briefkasten am Zug oder Bahnhof lag, konnte man diesen ja schlecht liegenlassen. Hier wäre es ja auch zulässig gewesen, die Express-Gebühr vom Empfänger zahlen zu lassen.

    Ich tendiere zur unvorschriftsmäßigen Barfrankatur. Indizien für mich sind der frei-Vermerk und wenn der Brief unterfrankiert abgeliefert worden wäre, wäre ja irgendein entsprechender Vermerk vorhanden.


    Unterfrankiert im Sinne von nicht ausreichendem Franko war er nicht, da hättest Du recht. Es bliebe aber die Möglichkeit Franko bezahlt, Express-Gebühr vom Empfänger einzuziehen.


    Sehr interessante Überlegungen!
    Man kann noch weiter spekulieren: Der Brief sollte (incl. bezahlter Express-Gebühr) am Zug aufgegeben werden, der Conducteur lehnte ab, da er kein Geld annehmen durfte. Der Absender hätte also über den Rhein zum Düsseldorfer Postamt gehen müssen, dort wäre der Brief aber wohl mit deutlicher Verspätung nach Krefeld geleitet worden (ich weiß nicht, wie oft die Düsseldorfer Post Briefe über den Rhein zur linksrheinischen Bahnstrecke brachte). Ein anderes nahe gelegenes Postamt war in Neuss ... Evtl. hat der Absender den Brief daher absichtlich dem Zug nach Neuss incl. Bargeld (natürlich noch immer unzulässig!) mitgegeben, dort wurde vom Conducteur Brief mit 2 1/2 Sgr. in Münzen abgeliefert, die Rötelnotiz vom dortigen Beamten angebracht, alles richtig in die Briefkarte eingetragen und es ging dann in die richtige Richtung ...
    Das ist jetzt fabuliert, aber so ganz unmöglich erscheint es mir nicht.
    Wie aus dem Fahrplan von 1854 im ersten Beitrag ersichtlich, fuhren auf dieser Strecke mehrere Züge/Tag, so dass ein Hin- und Hertransport am selben Tag funktionierte, siehe auch die rückseitigen Kurs-/Ausgabestempel mit gleichem Datum.
    Vielen Dank auch für die Sophy zu dem Brief, macht ihn nicht schlechter. :)

    ich denke, dass der Brief nicht am Zug aufgegeben wurde, sondern in der sich dort befindlichen Post(stube).
    Häufig sind an Bahnhöfen auch Briefkästen aufgestellt wurden. Dadurch war es möglich, dass der dort tätige Postamte auch diese Brief bearbeitete und ggf. auch Briefe vom Publikum annehmen konnte.


    Was ist unter "Post(stube)" zu verstehen?
    Gemäß Literatur gab es in Oberkassel zu dieser Zeit keinerlei Postamt/-expedition. Laut Münzberg (Postgeschichte und Postanstalten 1649-1923, Teil I/A) wurde in Oberkassel erst 1895 eine Postagentur eingerichtet. Zudem gibt es vergleichbare Briefe mit handschriftlicher Angabe "Oberkassel / Neuss". Die Nennung des folgenden Postamtes war ja nur nötig, wenn am Haltepunkt keine Posteinrichtung existierte.
    Wenn die Poststube eine Kammer/Aufenthaltsraum für die Post-Conducteure war, gibt es keinen Unterschied zur direkten Zugaufgabe. Die Conducteure waren dort genauso wenig berechtigt, Bargeld anzunehmen und hatten ja auch da keinerlei Formulare, Kassenbücher usw. für diese Vorgänge.
    Daher gehe ich nach wie vor von einer Zugaufgabe aus (ob am Zug selbst, in den Briefkasten geworfen oder dem Conducteur übergeben läuft auf das selbe hinaus). Eine andere Interpretation ist für mich aus den Briefmerkmalen nicht ableitbar.

    Gruß
    Michael

  • Ein anderes nahe gelegenes Postamt war in Neuss ... Evtl. hat der Absender den Brief daher absichtlich dem Zug nach Neuss incl. Bargeld (natürlich noch immer unzulässig!) mitgegeben, dort wurde vom Conducteur Brief mit 2 1/2 Sgr. in Münzen abgeliefert, die Rötelnotiz vom dortigen Beamten angebracht, alles richtig in die Briefkarte eingetragen und es ging dann in die richtige Richtung ...


    :thumbup: :thumbup: 8o

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis