Lieber Kilian,
ich glaube nicht, dass die Abläufe in der Druckerei so einfach waren.
Wir sollten uns vor Augen halten, dass der Druck von Briefmarken eine Art von Gelddrucken war (und ist).
Für eine Million Marken hat die Druckerei bei der ersten Auflage 75 fl erhalten.
Zusammen mit den Kosten für das Papier, den Graveur und Setzer hat das Materialamt 289 fl für 1 Million Marken bezahlt und dafür z.B. bei der 3 Kreuzer-Marke den Verkaufswert von 50.000 fl bekommen!
Die Druckerei hatte über jeden gelieferten Bogen Papier Buch zu führen und meiner Meinung nach neben den sauberen Drucken auch Probedrucke und Makulatur abzuliefern.
Ein Bogen der 2I hatte den Wert von 9 fl, das war vermutlich mehr als ein Drucker in 2 Wochen verdiente!
Da blieben keine gedruckten Bogen im Musterbuch der Druckerei oder nebenbei in einem Regal zur gefälligen Selbstbedienung 😁 liegen. Die Versuchung wäre zu groß gewesen und sogar Makulatur hätte noch Wert besessen!
Ich vermute sogar, dass die Stöckel in der Materialverwaltung oder (ab der Nutzung von Messingstöckeln) evtl. in der Münze verwahrt wurden und nur zum Druck einer neuen Auflage an die Druckerei ausgegeben wurden.
Wir sollten uns schon auch im Klaren sein, dass nicht die Druckerei entschieden hat, wann sie von welchen Werten wievielte Marken druckte und der Setzer dann einfach Stöckel aus dem Letternkasten holte, um eine Form zusammenzusetzen.
Warum immer wieder Spätverwendungen wie in Augsburg auftreten?
Die Postanstalten durften nur einen Vorrat für 4 Wochen halten.
Der Postler hat dann natürlich nicht bis zu seiner letzten Marke gewartet um neu zu bestellen, sondern hatte immer einen kleinen Vorrat in petto. Wenn die neuen Marken kamen, kamen sie auf die alten.
Warum auch nicht, sie hatten ja kein Verfallsdatum und sahen aus wie die alten. Da wurde nicht mit der Lupe nach Unterscheidungsmerkmalen gesucht!
Wurde in einer Postanstalt (aus welchen Gründen auch immer) umorganisiert, umgezogen oder umgeräumt (z.B., weil ein neuer Expeditor übernahm), kamen beim Umlagern der Markenbestände eben die Bogen von unten (weiter) nach oben und zur Ausgabe.
Deshalb suche ich nach Hinweisen, ob es in Augsburg gerade 1858/1859 organisatorische Veränderungen gab😁.
Ich wage sogar die Prognose, dass wir bei genauerem Hinsehen besonders in den Monaten September, Oktober und November 1862 und dann wieder Ende 1866/Anfang 1867 vermehrt Belege mit sog. Liegenbleibern finden.
Für September 1862 waren alle Postanstalten angewiesen, ihre Bestellung sehr genau zu kalkulieren, damit am 1. Oktober nur wenige Restbestände zurückgegeben werden mussten. Da kam dann so manche Postanstalt bis auf den Grund ihres Bestandes und der eine oder andere Bogen der alten 2a oder 2b kam zur Ausgabe.
Noch ausgeprägter war dies 1866.
Für die neue Wappenausgabe gab es kein festes Einführungsdatum. Sie sollten erst verwendet werden, wenn die Marken der vorherigen Ausgabe vollständig aufgebraucht waren. Restbestände wurden von den Bezirkskassen nicht zurückgefordert oder -genommen.
Daher finden wir noch im Frühjahr 1867 so häufig 10I oder die 9 von den Platten 1 und 2 auf Briefen.
Ich folge deshalb auch nicht der Aussage von J. Vogel, der aus dem Vorkommen von Briefen im Frühjahr 1867 mit 3 Kreuzer rot mit den Merkmalen der Platte 5 ( Vogel Platte IIIb) der 3 Kreuzer blau schließt, dass hier nochmals mit der alten Platte aus 1858 nachgedruckt worden wäre.
Auch das waren meiner Ansicht nach die Bogen der frühen Auflagen, die ganz unten liegen geblieben waren und nun zum Vorschein und Verbrauch kamen!
Kilian, zumindest ich finde meine Erklärung für das Auftreten von Spätverwendungen plausibel😁🤓.
Beste Grüße
Will