Portobriefe 1858-1872

  • Hallo zusammen,

    ich habe die Hinweise von laurent ( :thumbup: :thumbup: ) noch ein bischen weiter vertieft. Sehr interessant ! Nach einiger googelei kann man auf jeden Fall schon mal sagen A) was es überhaupt für eine Schiffsroute war und B) welche Reedereien für den Transport in Betracht kamen.

    Es war dies zunächst die schon von laurent angesprochene Compagnie des Services Messageries Imperiales (ursprünglich Messageries Maritimes - MM) mit Heimathafen Marseille.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Messageries_Maritimes

    Sie hatte am 25.02.1854 mit dem französischen Kriegsministerium eine Vereinbarung für die Einrichtung eines Korrespondenzdienstes zunächst für 12 Jahre abgeschlossen, welche aber schon am 24.11.1854 bis ins Jahr 1871 verlängert wurde.

    Die Messageries Imperiales hatte von Marseille aus nach Algerien insgesamt drei Linien bedient:

    Für den Westteil die Route nach Oran, im mittleren Teil nach Algier und im Ostteil nach Bône (heute Annaba), dort dann noch mit Weiterfahrt nach Tunis. Eine schöne Karte dazu findet man nachstehend auf Seite 128.

    https://books.google.de/books?id=feY3X…0algerie&f=true

    Die Transportdauer betrug lt dieser Quelle...

    https://books.google.de/books?id=nNujO…%20Bone&f=false

    ...bspw. von Marseille nach Algier 34 Stunden. Was aber im vorliegenden Fall wahrscheinlicher ist, ist der Schiffsroute nach Bône, denn dieser Mittelmeerhafen liegt 180 km nordöstlich vom Beleg-Zielort Constantine, Algier fast 400 km nordwestlich davon. Was nach dieser Quelle auch noch in Betracht kommt ist die - ebenfalls von von laurent schon angesprochene - Compagnie de Navigation Mixte...


    https://de.wikipedia.org/wiki/Compagnie_de_Navigation_Mixte

    ...die ab 1850 einen Liniendienst zwischen Marseille und Algerien eingerichtet hatte, dabei lt. nachstehender Quelle u.a. auch nach Bône, ebenfalls mit Weiterfahrt nach Tunis.

    http://alger-roi.fr/Alger/transpor…sons_gamt76.htm

    Die Zahl der von beiden Reedereien seinerzeit eingesetzten Schiffe ist recht überschaubar:

    http://diaressaada.alger.free.fr/j-Marine/1-Paq…paquebots1.html

    Auch die monatlichen Liniendienste waren klar geregelt, aber ohne Fahrplanvergleich kann man es natürlich nicht präzise bestimmen. Wie auch immer, einen Einstieg in das Thema hat man schon mal anhand der doch recht umfangreichen französischen Quellen und natürlich freue ich mich über den Beleg, trotz der optisch etwas unschönen Patina in der Faltung.

    + Gruß !

    vom Pälzer :thumbup:

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

    Einmal editiert, zuletzt von Pälzer (14. November 2016 um 20:12)

  • Hallo Pälzer,

    wow - imposant und immer wieder erstaunlich, was es alles für Informationen im Netz gibt. So nah dran war bisher noch keiner.

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Liebe Freunde,

    heute zeige ich keine Schönheit, aber ein bisserl was für den Postgeschichtler ist er schon.

    Verfasst und aufgegeben wurde er im schönen Nürnberg (damals noch schöner, als heute) am 12.4.1861 als Portobrief bis 10g an Monsieur Hulin 55 Rue Pigalle Paris. Am Folgetag kam er über den Paketschluß Nürnberg - Forbach via Taxis und Preußen in Forbach an und erreichte schon einen Tag später sein Ziel in Paris. Dort erhielt er einen schwarzen und einen roten Stempel (warum?) am selben Tag, konnte jedoch für die 6 Decimes, die die Bahnpost Forbach - Paris aufgestempelt hatte, nicht zugestellt werden, da er sich "à Richelieu Indre et Loire" befand (ich kenne Richelieu als große, historische Person, nicht aber als Ort des Departements Indre et Loire, wieder etwas dazu gelernt).

    Mit der Bahnpost Paris - Nantes lief er dann, immer noch am 14.3. (!!) nach Westen und am 15.4. endlich kam er an.

    Was bedeuten die beiden kleinen Stempel hinten? Waren das Briefträgerstempel von Paris?

    Vorne oben links sollte in Bayern eigentlich die Gewichtsstufe notiert werden, wenn der Brief nicht einfach schwer war. Hier lese ich aber 1/2 Loth, wenn es so heißen soll. Das machte aber wenig Sinn, weil im Postverkehr zu Frankreich gar kein Loth galt, sondern die französischen Grammes. Es erscheint mir aber auch eher die Tinte von Paris zu sein, die Paris strich, die neue Anschrift hinten beifügte und die dann oben links was vermerkte?

    Der Brief weist zahlreiche Löcher auf, die nach Rastelungen aussehen. Könnte es sein, dass er wegen der Cholera oder eines Fiebers damals gerastelt wurde (Contumaz)?

    Bilder

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Hallo zusammen,

    ich habe hier einen Portobrief, der Anfang Juli 1866 von München nach Paris lief.
    Inliegend ist eine Saldenauskunft auf einem separaten Formular.
    Absender war Joseph von Hirsch in München und Adressat(en) die Gebrüder von Rothschild in Paris.

    Der Brief wurde am 03.07.1866 (dem Tag der Schlacht von Königgrätz) erstellt und am Tag darauf in München abgesandt.
    Er erreichte Paris nach zwei Tagen (über Straßburg / 05.07.1866) am 06.07.1866.

    Es stellen sich mir einige Fragen zu diesem Brief, die ich gerne an die Experten richten möchte:

    1.) Das vermerkte Porto sieht aus wie eine "19", soll aber wohl - wenn ich das mit anderen Briefen in diesem Thread vergleiche - eine "12" für 12 Dec. sein.
    Ist das richtig ?

    2.) Auf dem Strassburger Stempel sieht die Jahreszahl wie eine "68" aus. War das ein Versehen oder ein missglückter Stempelabdruck ?

    3.) Es gibt rückseitig zwei Ankunftsstempel aus Paris, einer davon mit "POSTE RESTANTE". Wie ist das zu erklären, obwohl die Adresse keinen Postlagervermerk enthielt ? War das eventuell so etwas wie ein "Postfach" ?

    4.) War es damals üblich, derartige Standard-Schreiben als Portobrief zu versenden und damit ein wohl höheres Porto zu akzeptieren ?

    Vielen Dank schon mal für eventuelle Tipps und Hinweise.

    Viele Grüße von der Frankenhöhe

    Gerd

  • Hallo Gerd,


    1.) Das vermerkte Porto sieht aus wie eine "19", soll aber wohl - wenn ich das mit anderen Briefen in diesem Thread vergleiche - eine "12" für 12 Dec. sein.
    Ist das richtig ? 19 Decimes gab es nicht, nur 6, 12, 18 usw., hier als Brief über 10 bis 20g im 2. Gewicht mit 12 Decimes.

    2.) Auf dem Strassburger Stempel sieht die Jahreszahl wie eine "68" aus. War das ein Versehen oder ein missglückter Stempelabdruck ? Nein, das war schon 1866, aber wegen des Briefinhaltes wurde die 2. 6 etwas verquetscht.

    3.) Es gibt rückseitig zwei Ankunftsstempel aus Paris, einer davon mit "POSTE RESTANTE". Wie ist das zu erklären, obwohl die Adresse keinen Postlagervermerk enthielt ? War das eventuell so etwas wie ein "Postfach" ? Das Bankhaus Rothschild (ursprünglich aus FFM!) ließ sich alle Post in den 1860er Jahren postlagernd schicken, das wussten nicht die Absender, aber die Pariser Post, weil die Rothschilds nicht wollten, dass ihre Briefe von Briefträgern ausgetragen wurden; so waren das immer Beschäftigte von Rothschild und die waren "sicherer".

    4.) War es damals üblich, derartige Standard-Schreiben als Portobrief zu versenden und damit ein wohl höheres Porto zu akzeptieren ? Je wichtiger ein Brief war ins Ausland, je eher schhickte man "porto", also unfrei, weil dann die Post ja erst noch ihr Porto kassieren musste und man dachte, dass die Post daher größere Aufmerksamkeit walten ließe, als wenn schon alles vorher bezahlt worden war. Das mag auch bei etlichen Briefen zutreffen. Vor allem kosteten auf der Post "verlorene" Briefe dann keinen Korrespondenten Geld - bei frankierten Briefen, die verschwanden, war das Franko verloren. Dein Brief hätte ein Franko von 2 mal 12 = 24 Kreuzer gekostet und 12 Decimes galten postalisch als 36 Kreuzer, auch wenn sie paritätisch nur knapp 34 Kreuzer wert waren.

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.